Aquarell: Baum mit grünen Blättern

Franz Bartl: Leben mit der Demenz der Ehefrau

Franz und Edith Bartl bei den Demenzwochen in der Langau
© Julia Dilg

Franz Bartl | Ehemann und pflegender Angehöriger von Frau Edith Bartl

Seit 7 Jahren pflegt Franz Bartl seine an Demenz erkrankte Frau Edith. In einer Angehörgenkur in Bad Aibling bekam er wertvolle Hinweise zum Umgang mit der demenzielllen Veränderung seiner Ehefrau: Zuvorderst, dass es ganz normal ist, dass man als Betreuender immer der Böse ist, da man ständig Dinge einfordern muss, ohne die das Zusammenleben und Überleben nicht möglich wäre – seien es Erinnerungen daran, etwas zu trinken, Themen der Körperhygiene oder Termine wie Arztbesuche.

Mit einem Zettel in der Geldbörse "Meine Frau hat Demenz" kann er ruppig Angesprochenen ebenso wie Personal in Arztpraxen eine Erklärung für befremdliches Verhalten geben –  und freut sich, wenn die Rücksichtnahme auf die Erkrankung gelegentlich sogar zu einem Vorrücken in Warteschlangen führt. 

Herr Bartl, wie geht es Ihnen heute?

Franz Bartl: Heute geht es mir gut:  meine Frau ist heute friedlich aufgestanden und folgsam in die Tagespflege gegangen. Denn eigentlich gefällt es ihr dort gut: In der Tagespflege hat sie zwei Freundinnen, als gelernte Kinderkrankenschwester kann sie sich um die kümmern. Das mag sie gerne. Oft hat sie – besonders mir gegenüber – aber ihren sehr eigenen Kopf, ist defensiv, böse, traurig. In den Demenzwochen in Langau und in Bad Aibling habe ich gelernt, dass der direkte Betreuer sehr sehr oft der Böse ist, weil der ständig sagt: „Mach mal das!“, „Wir müssen dies tun.“ „Trink etwas!“ „Geh aufs Klo.“.  Das ist wie bei einer Mutter mit einem kleinen Kind. Dann reiche ich ihr die Serviette, und sie sagt: „Wieso ne Serviette? Ich hab doch ne Hose!“ Dass ich die dann wieder waschen muss, das interessiert sie nicht.

Mit diesen Dingen wächst man. In den Momenten, wenn man als Betreuender gutes Essen auf den Tisch stellt, dann ist man immerhin mal nicht der Böse.

Wie sieht ein normaler Tag bei Ihnen aus?

Franz Bartl: Einen normalen Tag, wie man den gekannt hat, den werde ich nicht mehr haben. Ich bin für uns Beide für alles verantwortlich: Körperpflege, Haus und Garten, Kochen, Putzen. Ich hatte immer gedacht: „Wenn ich in der Rente bin, dann wird das schön, dann haben wir ein auskömmliches Einkommen und ein gutes Leben.  Was davon jetzt geblieben ist, ist das auskömmliche Einkommen. Seit fünf bis sechs Jahren kämpfen wir mit der Demenz meiner Frau, unbewusst vielleicht schon seit 2017/18. Nach ihrem Schlaganfall, da fing das Vergessen an. Aber gesunde ältere Menschen vergessen ja auch so einiges. In kleinen Schritten steigt man ein. Das Sprechen meiner Frau ist beispielsweise auch heute sehr unterschiedlich: Mal kann sie gut sprechen, mal spricht sie in Halb- oder Viertelsätzen.

Bildrechte
Christa Maiwald

Wo bekommen Sie Hilfe?

Franz Bartl: Ein eigenes Leben habe ich im Alltag von 8.00 Uhr früh bis 4.00 Uhr nachmittags an den beiden Tagen, an denen meine Frau in der Tagespflege ist.

Am Sonntag Nachmittag treffe ich mich mit Freunden zum Kartenspielen, da übernehmen die Kinder. Auch bei einem Notfall übernehmen meine beiden Töchter. Sie versuchen, so gut sie das jeweils können, mich und ihre Mutter aufzufangen. Eine wohnt ganz in der Nähe, die andere 10km weg. Da haben wir großes Glück!

Wir haben mit den Freunden ein Kaffeerunde, fünf bis sechs Leute, da wird meine Frau einfach übergangen, nicht wahrgenommen. Manchmal sitzt sie 90 Minuten da und hört unseren Diskussionen zu, mal will sie nach 20 Minuten aufstehen. Meine Frau zieht sich manchmal zurück, sie sagt dann, sie geht jetzt heim. Obwohl sie  daheim ist. Dann läuft sie 30 Minuten durch unser Reihenhaus.

Wir müssen versuchen, das Beste aus unserer Situation zu machen. Klar gibt es mal böse Worte, hitzige Diskussionen, wenn etwas gemacht werden muss und sie überhaupt nicht kooperieren will. Manchmal kann dann auch ein lautes Wort helfen. Dann zieht sie sich zurück, kommt nach einer Viertelstunde wieder und ist danach oft besser zu haben. Das fühlt sich für mich dann so an, als täte es ihr leid, dass sie vorher so bockig war.

Wo sehen Sie Licht?

Franz Bartl: Ein richtig gutes Leben gibt es für uns Beide in der Langau. Das ist einfach schön da oben, das ist wie ein Ankommen daheim. Wir sind heuer zum dritten Mal dort. Schon beim Ankommen stehen da 1-2 Betreuer, rufen „Hallo Franz, hallo Edith!“ Da fühlt sie sich pudelwohl, knüpft auch Kontakte, ist fröhlich – und wenn es ihr gutgeht, dann habe auch ich eine gute Zeit. Die Tage bei den Demenzwochen in der Langau sind ein großer Lichtblick, ein heller Schein: Glückliche Tage zusammen mit neun anderen von Demenz betroffenen Paaren.

Das Licht im Alltag ist ein Waldspaziergang, über die Felder. Meine Frau ist am zufriedensten in der Natur, wenn wir im Wald spazieren gehen, das liebt sie – sie kann momentan besser laufen als ich! Die Natur sieht sie sehr gut. Dort spricht sie mit den Vögeln und singt. Wenn ein Vogel zwitschert, dann ruft sie: „Schau, der sagt meinen Namen!“ Im Wald ist das ja kein Problem, da hört sie niemand. Mittlerweile habe ich mich fast daran gewöhnt, wenn sie das in der Öffentlichkeit macht. Oder das Verhalten von Menschen ganz offen kritisiert. Ich habe einen Zettel im Portemonnaie, den ich Leuten zeige, wenn sie blöde Bemerkungen macht: „Meine Frau hat Demenz“. Manche verstehen dann: „Sie meint das nicht so bös, wie sich das anhört.“ Ich bin mir nicht sicher, ob alle Leute das verstehen. Wer keine Beziehung zur Demenz hat, der sieht die Krankheit als harmlos. Mit einer Mutter oder einem Vater mit dem Thema, ist das anders. Mehr Information über die Krankheit in der Öffentlichkeit, das würde Dinge etwas einfacher machen.

Manchmal kann der Zettel „Mein Partner ist dement“ eine echte Hilfe sein: Letzens habe ich ihn in der Augenarztpraxis gezeigt, da haben sie mich schon nach 10 Minuten drangenommen.

Bildrechte
Christa Maiwald & Oliver Schultz

Was passiert, wenn Sie krank werden?

Franz Bartl: Ich habe letztes Jahr eine neue Hüfte bekommen, danach war ich 3 Wochen in der Reha. In der Zeit war meine Frau stationär im Pflegeheim. Dort wollte sie immer weg, ist tagsüber meist zweimal abgehauen. Am letzten Abend ist sie dann auch um halb elf abgehauen, ist hingefallen und hat sich den Ellbogen sehr kompliziert gebrochen. Sie war 5 Tage im Krankenhaus, dann ist sie nach Hause gekommen, mit einem Fixateur am Arm, der hat 24 Stunden gestört für gute zwei Monate. In dieser Zeit waren wir richtig am Limit, manchmal am Boden zerstört. Das waren harte Wochen und Monate. Nun haben wir das alles hinter uns, sie hat nur noch wenige Einschränkungen. Jetzt können wir wieder zwei Stunden miteinander laufen. Das tut zwar etwas weh mit der neuen Hüfte, aber ich sage immer: Schmerz gehört zur Heilung.

Waren Sie vorbereitet auf das, was das Thema Demenz bedeutet?

Franz Bartl: Wir wurden vom Neurologen darauf hingewiesen, von Monat zu Monat wurde es dann mehr. Der Neurologe kann ja nicht wirklich etwas machen gegen die Krankheit: Er kann einen Test machen und Menschen ruhigstellen.

Ich bin heute selbst sehr gut informiert über die Krankheit, in den vier Wochen in Bad Aibling gab es viele Vorträge, auch in der Langau werden wir immer gut informiert.

Das Schlimme ist: Du weißt, es gibt keine Heilungschancen, es wird nur noch schlimmer, immer mehr. Meine Frau hatte auch schon andere schlimme Krankheiten. Krebs, Rückenprobleme, da weißt du, es kann besser werden. Wenn mich heute Bekannte fragen „Geht es ihr besser?“, dann denke ich mir: „Besser, schlechter? Es gibt gesundheitlich nur schlechter!“ Es gibt bessere Stunden und Minuten, die muss man genießen.

Bildrechte
Julia Dilg

Wie könnte die Gesellschaft besser helfen?

Franz Bartl: Die Gesellschaft könnte mehr Tagespflege anbieten. Das wäre als Entlastung wirklich wichtig. Ich wohne in einer Stadt mit 30.000 Einwohnern, die hat Kapazität für 5-6 Patienten mit Demenz am Tag. Hier einen Platz für Tagespflege zu bekommen, ist ein echtes Glück.

Wirklich schön wäre es, mehr Demenzhöfe zu haben. Bauernhöfe, in denen Demenzkranke in der Natur mit Tieren leben können. Das wäre für meine Frau genau das Richtige, da wäre sie zufrieden. Aber da gibt es heute einen im gesamten bayrischen Raum.

Wenn ich selbst es gar nicht mehr schaffe, dann werde ich meine Frau in einem Heim betreuen lassen müssen. Solange es irgendwie geht, frage ich mich: „Soll ich ihr das antun, 20-25 Patienten, die alle ganz dement sind?“ Zudem ist das teuer und schwierig. Im Pflegeheim muss ich erst einmal schauen, ob die eine Demenzstation haben. Meine Frau ist ja noch fluchtfähig, sie war in der normalen Station ständig verschwunden. Man darf sie ja nicht einsperren, Gott sei Dank, leider? Sie dürften sie evtl. elektronisch überwachen. Rechtlich kann sie tun und lassen, was sie will – wenn sie abends entscheidet, in die Bar oder ins Kino zu gehen, dann kann sie niemand in der Normalstation eines Heimes davon abhalten.

 

Geben Ihnen der Glaube oder Psalmen Kraft?

Franz Bartl: Die positive Bedeutung des Psalmes, die kann man sicher auch in unser Leben hineinbauen. Ich bin christlich geprägt, katholisch. Wenn ich in der Kirche bin, ist oben ein moderner Steinaltar, da ganz obendrauf sitzt Jesus. Den frage ich oft: „Warum hast du mich dafür ausgesucht?“ Aber der sagt nichts dazu. Gut, wem sagt Gott schon, was er von ihm erwartet…

Manchmal denke ich, die Kraft, die mir gegeben wird, die reicht nicht. Es wäre schön, wenn ich ein bisschen mehr kriegen würde.

Haben Sie einen Kraftspruch?

Franz Bartl: In Bezug auf Langau ist das „Ankommen, wohlfühlen.“ Dort in der Kapelle in Gottes Beistand Yogaübungen machen, das gibt Kraft. Yoga im Alltag zu machen gehe ich jetzt an. Bislang gibt es mehr die Yogagruppen mit jungen Frauen, da wäre ich ja der alte Gockel dazwischen! Jetzt gibt es hoffentlich bald eine gemischte Gruppe.

Kraft aus dem Glauben ziehe ich weniger. Wenn mich ein Spruch begleitet, dann „Herr, warum hast du mich verlassen? Warum gibst du mir diese Aufgabe?“ Ob das ein Kraftspruch ist, das weiß ich nicht… Wenn alles vorbei ist, dann kann ich vielleicht erkennen, dass Gott mich auch durch diese Zeit getragen hat. Jetzt, wo ich mittendrin bin, fehlt mir dazu Lust und Wille. Es ist nicht einfach.Meine Frau sucht das Gespräch mit Gott. Sie zieht eine gewisse Kraft aus dem Mitsingen, Mitbeten. Sie betet alles mit, sie kennt alle Lieder, alle Gebete. Das ist alle noch da. Ja, das ist vielleicht ihr Kraftstützpunkt, da nimmt sie eine Kraft mit heraus. Bis wir 10m von der Kirche weg sind – dann weiß sie nicht mehr, dass sie in der Kirche war.

Bildrechte
Julia Dilg, Langau


 
Kinderkrankenschwester Edith Bartl genießt das "Willkommensein"

Die Highlights des Jahres sind die Auszeitwochen für Demenzkranke und ihre Angehörigen in der Langau – wo sie endlich wieder einmal ein ganz normales Paar sind! "Langau - Einfach Mensch sein" ist das Motto der Bildungs- und Erholungsstätte der Diakonie direkt bei der Wieskirche. Für die Paare aus betreuenden Angehörigen mit ihren demenzkranken Partnerinnen oder Partnern funktioniert dieses Konzept bestens: Hier sind Vögel, die Menschen mit ihrem Namen anzwitschern, wunderbar normal. 5 Stunden engagierte Einzelbetreuung der Demenzkranken durch Ehrenamtliche des Lech-Vereins erlauben Auszeiten für die pflegenden Angehörigen, die so oft Engagement weit über die eigene Belastungsgrenze leisten. Und auch die an Demenz Erkrankten fühlen sich wohl in der gelösten, behüteten Athmosphäre des Ortes.