Prof. Dr. med. Elmar Gräßel
Leiter des Zentrums für Medizinische Versorgungsforschung am Universitätsklinikum Erlangen | Gründungsmitglied der Deutschen Alzheimergesellschaft e.V. | Vorsitzender der Alzheimer Gesellschaft Mittelfranken e.V.
Im Juli 2025 wurde Prof. Dr. Gräßel für seine wegweisende, umfassende Arbeit zum Thema Demenz mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Das Thema Demenz wird uns in den kommenden Jahren zunehmend begleiten. Heute leben 230.000 von Demenz Betroffene und ebenso viele Frühbetroffene in Bayern – Tendenz steigend. Das wird unsere Gesellschaft vor enorme Belastungen stellen. Dabei sind Angst und Unsicherheit oft die schlimmsten Feinde: Sind das die ersten Anzeichen? Geht es jetzt los?
Das Vergessen macht Angst. Bei sich selbst ebenso wie bei geliebten Menschen. Gegen diese Angst helfen Fakten: Ja, die wirklich erblichen Formen der Demenz treffen die eigenen Kinder mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit – aber sie machen weniger als 5% der gesamten Fälle aus! Auf der anderen Seite sind nur ca. 5% aller Demenzfälle ursächlich behandelbar.
Bekannte Auslöser von Demenz sind allgemein als ungesund erkannte Lebensweisen und Umstände in jungen Jahren – u.a. Rauchen, Bewegungsmangel, Fettleibigkeit, Alkoholmissbrauch, natürlich auch Sportarten wie Fußball oder Boxen, wenn man "Köpfchen" nicht nur im übertragenen Sinne nutzt. In späten Lebensphasen befördern unkorrigierte Seh- und Hörbeeinträchtigung sowie auch soziale Isolation dementielle Erkrankungen.
Eine verlässliche Früherkennung erfordert eine extrem umfangreiche Diagnostik. Mit welchem Erfolg? Vor-und Nachteile der frühen Diagnostik halten sich oft die Waage: So kann z. B. eine frühzeitige Abgabe des Führerscheins Betroffene und Gesellschaft schützen – schränkt aber die Beweglichkeit und Autonomie ein, die einem Fortschreiten der Krankheit entgegenwirken können. Und welches Recht überwiegt: das Recht zu wissen, oder nicht zu wissen?
Erste, nun auch in Deutschland zugelassene Medikamente gegen Demenz versprechen einigen Männern (bei Frauen sind sie eher wirkungslos) eine Verzögerung der Krankheit. Gezielte Aktivierung bewirkt ein nachweislich deutlich effektiveres „Abbremsen“ der Krankheit. In Erlangen haben wir MAKS entwickelt: Motorische, Alltagspraktische, Kognitive Aktivierung und Spirituelle bzw. Sozial-kommunikative Einstimmung. In einer kurzen Schulung sowie über ein Handbuch können Pflegende in Einrichtungen, Tagespflegen, Betreuungsgruppen etc. das System erlernen und Demenzkranken spürbar, für die Anwendenden „sichtbar“ helfen.
Ich möchte in meinen Vorträgen Mut machen. Trotz allem. Von Menschen mit Demenz habe ich die „Stärke der Gegenwart“ gelernt: Sie haben oft kein Kurzzeitgedächtnis mehr – sie leben also im JETZT. Sie haben oft ein gutes Gespür für die jeweilige Situation, zudem sind sie emotional gut ansprechbar. Darin liegt auch der Schlüssel für gute Begegnungen: Auch schwer demenziell veränderte Menschen sind da – sprechen Sie MIT Ihnen, nie ÜBER sie, wenn sie im Raum sind.
Vermeiden Sie das Vorführen von Schwächen: Wen interessiert das Mittagessen, das vor 10 Minuten eingenommen wurde und an das sich die Betroffenen nicht mehr erinnern können – fragen Sie, was jetzt gerade vor dem Fenster passiert! Und versuchen Sie nicht, Ihre Sichtweise der Dinge „durchzusetzen“. Sie können nichts gewinnen. Außer schlechter Laune.
Sie können mit dem Durchsetzen Ihrer Sichtweise nichts gewinnen. Außer schlechter Laune.
Aber auch die eigenen Grenzen sollten in der Begleitung immer im Blick sein. Wer in der Begleitung von Menschen mit Demenz Aggressionen ausgesetzt ist oder durch die Pflege sehr stark gefordert ist, sollte sich Hilfe organisieren. Es ist ein Zeichen von Stärke, nicht alles alleine machen zu wollen!
Mehr Informationen unter www.maks-therapie.de